Direkt zum Inhalt Direkt zur Hauptnavigation
Schriftgröße

06.08.2025

40 Jahre Engagement, Herz und Haltung – Lothar Schöbinger im Gespräch

Ein Blick zurück, ein Blick nach vorn

Seit über vier Jahrzehnten hat Lothar Schöbinger das Leben und Arbeiten im Sankt Vincenzstift geprägt – mit Fachwissen, großem Engagement und einer klaren Haltung: den Menschen im Mittelpunkt zu sehen.

Als langjährige Leitung des Ambulant Betreuten Wohnens hat er die Entwicklung von Wohnformen für Menschen mit Behinderung entscheidend mitgestaltet – und vor allem die Dezentralisierung und Teilhabe konsequent vorangetrieben. Nun übergibt er die Verantwortung und geht in den Ruhestand, doch nocht so ganz: Er wechselt zum 1. September 2025 in eine neue Aufgabe innerhalb der JG Rhein-Main – als Teil des Aufnahme- und Entlassmanagements.

Was ihn über all die Jahre getragen hat, wie sich das Arbeitsfeld verändert hat – und worauf er sich nun freut: Darüber spricht Lothar Schöbinger in seinem Abschiedsinterview.

1. Du warst über 40 Jahre im Sankt Vincenzstift tätig – wenn du zurückblickst: Was waren für dich persönlich die wichtigsten Meilensteine?

Lothar Schöbinger: „Mitwirken zu dürfen war für mich stets ein zentraler Antrieb: Besonders wichtig war mir, unseren Leistungsnehmer:innen mehr Freiheit und Selbstbestimmung zu ermöglichen, vor allem in einer früheren Zeit, in der wir ein rigides System der Assistenz hatten, das die Leistungsnehmer:innen weitgehend fremdbestimmte (immer auf die Gruppe von Leistungsnehmer:innen bezogen, mit denen ich zu tun hatte). Rückblickend freut es mich besonders, dass sich nicht nur die Haltung, sondern auch die Sprache (Ansprache) an die Leistungsnehmer:innen zum Positiven geändert hat und jetzt respektvoller ist. Dies wird zum Beispiel deutlich in den Begriffen Leistungsnehmer:innen oder Klient:innen (so spreche ich über meine Leistungsnehmer:innen).

Wichtig für mich persönlich war auch an neuen Wohnmodellen federführend beteiligt gewesen zu sein. Ob es die Einrichtung der ersten ambulanten WG (AWG) im Hofgut Nothgottes (im Jahr 1988) war (aus dieser im Jahr 1992 Gruppe Urban und Marita und im Jahr 1993 Gruppe Eva hervorgingen) oder ob es das Ambulant Bettreute Wohnen war, das ich 1997 mit Kolleg:innen einrichtete und entwickelt habe; stets war ich daran interessiert neue pädagogische Konzepte zu erproben und umzusetzen – das alles war für mich „das Salz in der Suppe“.

Gerade wenn etwas Neues entsteht, gibt es viele Stimmen, die erst einmal abwägen, zögern und Bedenken äußern. Ich habe mich von ihnen aber nie entmutigen lassen. Vieles im Assistenzprozess lebt von einem feinen Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen – nicht alles lässt sich im Voraus planen oder strukturieren. Da braucht es manchmal einfach Vertrauen: in die eigenen Fähigkeiten, in das Miteinander – eigentlich ein bisschen Gottvertrauen.“


2. Was hat dir an deiner Arbeit im Sankt Vincenzstift besonders viel bedeutet?

Lothar Schöbinger: „Mir war es immer wichtig, in meiner Arbeit Gestaltungsfreiräume zu haben, um eigene Ideen und Überzeugungen einbringen zu können. Sehr wichtig war aber auch, dass die Vorgesetzten dies zugelassen und mir vertraut haben, denn ohne gegenseitiges Vertrauen – und auch ohne Selbstvertrauen – kann sich kein Prozess wirklich weiterentwickeln. Besonders wertvoll war für mich ein gutes, respektvolles Miteinander im Team. Jeder und jede sollte stets angstfrei und gerne seiner Tätigkeit nachgehen. Ich bin überzeugt: Produktive Prozesse entstehen gerade dann wenn es Mitarbeiter:innen gut geht.


3. Was hast du aus der Arbeit mit den Menschen, die bei uns leben, für dich selbst mitgenommen?

Lothar Schöbinger: „Jede:r kann etwas und jeder Mensch bringt etwas mit – das konnte ich in meiner gesamten Berufszeit immer wieder feststellen. Wir sollten unseren Leistungsnehmer:innen aufmerksam zuhören, um wirklich zu verstehen, welche Bedürfnisse, Wünsche und Potenziale in ihnen stecken. Wir sollten uns von eigenen Überzeugungen nicht zu sehr einengen lassen, sondern den Mut haben unserem Gegenüber, dem wir assistieren, etwas zuzutrauen.


In vielen Gesprächen mit unseren Leistungsnehmer:innen des ABW (gerade wenn sie aus Wohngruppen kamen), hörte ich, wie befreiend es für sie ist, selbstbestimmt über ihre Zeit, ihr Geld und ihre Lebensgestaltung zu entscheiden. Besonders geschätzt wurde die Möglichkeit, eigenständig zu wählen, mit wem sie zusammenleben möchten. Diese neu gewonnene Autonomie war vielen so wichtig, dass selbst bei Krisen eine Rückkehr in die vermeintlich sicherere Struktur einer Wohngruppe keine Option mehr war – vorausgesetzt, die Person war körperlich fit und nicht pflegebedürftig.“


4. Ruhestand klingt bei dir eher nach „Unruhestand“ – worauf freust du dich in deiner neuen Rolle im Aufnahme- und Entlassmanagement?

Lothar Schöbinger: „Ich freue mich darauf, im Rahmen meiner Kräfte an der Entwicklung des Verbunds Sankt Vincenzstift an anderer Stelle mitwirken zu können. Das Sankt Vincenzstift war für mich nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern ein Lebensraum, in dem ich mich immer gerne bei allen Hochs und Tiefs (davon gab es auch einige, wie man sich vorstellen kann) bewegt habe und bewegen werde.“


5. Und zum Abschluss: Wenn du den Kolleg:innen der JG Rhein-Main etwas mit auf den Weg geben könntest – was wäre das?

Lothar Schöbinger: „Ich möchte mitgeben: Seid aufmerksam und respektvoll euren Leistungsnehmer:innen gegenüber. Lasst Widerspruch zu und fördert so die Verselbständigung. Der sich dann entwickelnde Lebensstil mag zwar nicht deckungsgleich sein mit euren Überzeugungen, aber ihr werdet sehen: Die Lebenszufriedenheit der Menschen, die ihr begleitet, wächst spürbar.

Als Kollege zu Kolleg:innen: Traut euch etwas zu! Betrachtet die Aufgaben, die auf euch zukommen oder an euch herangetragen werden, als Möglichkeit, euch aktiv einzubringen und mitzugestalten. Am Ende zählt das Zusammenspiel aller – wie in einem Orchester kommt es auf jedes Instrument (Abteilung) an, um zu einem harmonischen Ergebnis zu kommen (und erfolgreich zu sein). Jede und jeder von euch ist wichtig – unabhängig davon, welche Aufgabe ihr gerade übernehmt.

Mein persönlicher Wunsch: Ich wünsche dem St. Vincenzstift und allen Bewohnerinnen und Bewohnern, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine gute Zukunft, die mit Optimismus und Tatkraft, wie ich meine, gut zu gestalten ist. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass wir eine Dienstgemeinschaft sind, die nur erfolgreich sein wird, wenn alle zusammenhalten.

Wir benötigen Ihre Zustimmung.
Dieser Inhalt bzw. Funktion wird von Linguatec Sprachtechnologien GmbH bereit gestellt.
Wenn Sie den Inhalt aktivieren, werden ggf. personenbezogene Daten verarbeitet und Cookies gesetzt.